Wie finde ich eine geeignete Statiker:in für mein Mehrfamilienhaus?
Die Tragwerksplanung eines Gebäudes ist eine auf Zahlen, Formeln und physikalischen Gesetzen basierende Wissenschaft für sich. Für viele Bauherren/Bauherrinnen und Investoren/Investorinnen ein Fachgebiet, wo man bei den Details nicht immer mitreden kann. Umso wichtiger ist es, eine vertrauenswürdige Ansprechpartner:in zu finden. Gerade bei Mehrfamilienhäusern treten vergleichsweise große Kräfte auf, die sicher in den Baugrund geleitet werden müssen ohne die Standsicherheit der Nachbargebäude zu gefährden. Wie genau finden Sie die richtige, für Ihr Projekt geeignete Statiker:in? Wir geben Ihnen nachfolgend eine Übersicht an die Hand, die Ihnen bei der Suche behilflich sein kann.
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1. Der Leistungsumfang
Die Tragwerksplanung wird umgangssprachlich auch Statik genannt. Das Wort Statik bezeichnet aber eigentlich nur die statische Berechnung. Neben der statischen Berechnung sollten Positionspläne erstellt, Bewehrungspläne gezeichnet und projektspezifisch beraten werden. Es gilt der allseits bekannte Spruch: Jedes Projekt ist ein Unikat. Entsprechend muss man sich als Statiker:in in jedes Projekt individuell hineindenken.
Ein hilfreicher Indikator bei der Identifizierung des Leistungsumfangs sind die HOAI Leistungsphasen. Die Grundleistungen der Tragwerksplanung werden den HOAI Leistungsphasen 1 ‑6 zugeordnet. Darüber hinaus können besondere Leistungen auftreten. Dazu zählen beispielsweise Erdbebennachweise, die gerade in südwestlichen Gegenden entlang des Rheins häufiger vorkommen als man denken mag. Die einzelnen Leistungen innerhalb der oben genannten Leistungsphasen können Sie der HOAI Anlage 14 entnehmen. Manche Anbieter werben mit einer vollständigen Erbringung der Leistungsphasen 1–6, führen aber gar nicht alle angegebenen Teilleistungen aus. Dazu zählt u. a. auch eine Dokumentation aller Beratungs- und Planungsleistungen, das Mitwirken bei Vorverhandlungen mit Behörden und bei der Kosten- oder Terminplanung. Die Praxis zeigt, dass diese Aufgaben häufig gar nicht übernommen werden. Fragen Sie also nach und überlegen Sie, ob Sie Ihr Statikbüro hierfür überhaupt beauftragen möchten.
2. Die Qualifikation
“Statiker:in” ist im Gegensatz zum/r “Architekten/Architektin” keine geschützte Berufsbezeichnung. Offiziell werden Statiker:innen auch Tragwerksplaner:innen genannt. Sind Tragwerksplaner:innen in der Ingenieurkammer eingetragen und können bereits Referenzen und eine gewisse Berufserfahrung vorweisen, können Sie sich als qualifizierte Tragwerksplaner:innen listen lassen. Ausdruck dessen ist der Stempel, mit dem auch Standsicherheitsnachweise oder öffentlich rechtliche Formulare bei der Bauantragsstellung gezeichnet werden dürfen. Qualifizierte Tragwerksplaner:innen werden in den Bauordnungen auch als Nachweisberechtigte bezeichnet. Sie dürfen den für die Baugenehmigung erforderlichen Standsicherheitsnachweis (umgangssprachlich: Statik) erbringen.
Darüber hinaus gibt es weitere Qualifikationen, die in den einzelnen Bundesländern nicht immer ganz gleich verwenden werden. Zu nennen sind hier staatlich anerkannte Sachverständige oder Prüfsachverständige. Bei Mehrfamilienhäusern kann es sein, dass der Standsicherheitsnachweis und die anschließende Ausführungsplanung geprüft werden müssen (4‑Augen Prinzip). Teilweise werden die Prüfungen von angestellten der Bauaufsicht, teilweise auch von unabhängigen Prüfer:innen durchgeführt. Darüber hinaus gibt es noch den Begriff der beratenden Ingenieure. Sie haben sich der Unabhängigkeit verschrieben und erstellen häufig auch Gutachten. Mit höheren Qualifikationen steigen oftmals auch die Kosten. Weiterhin ist unklar, ob die Prüfer:innen die Arbeit tatsächlich selbst ausführen, oder einfache Mitarbeitende im Hintergrund die operative Arbeit übernehmen. Für ein Mehrfamilienhaus mindestens erforderlich ist jedenfalls eine nachweisberechtigte Tragwerksplaner:in, bei größeren Projekten mit Prüfsachverständigen.
3. Die Referenzen
Das Leistungsbild Tragwerksplanung ist ein allgemein anwendbares Leistungsbild für den Hochbau und den Infrastrukturbau. Im Hochbau gibt es weiterhin verschiedene Sparten wie den Wohnungsbau, den Industriebau oder den Gewerbebau. Innerhalb der Sparten kann man weiterhin unterscheiden zwischen Neubau und Bestandsbaumaßnahmen. Auch die Größe der Baumaßnahme, oder die Bauweise (Massivbau, Holzbau, Stahlbau) lässt weitere Unterscheidungen zu. Was wir damit sagen wollen: Wir empfehlen Ihnen eine geeignete Statiker:in zu suchen, die genau in Ihrem Bereich tätig ist. Hintergrund: Es gibt unterschiedlichste und vielfältigste Normen, Gesetzgebungen, Detaillösungen und Softwareanwendungen, die nicht jede Tragwerksplaner:in kennen kann. Das ist, anders als früher vielleicht, schlicht nicht mehr möglich bzw. effizient.
4. Das Angebot
Lange Jahre waren die Mindestpreise für Ingenieursleistungen im Bauwesen durch die HOAI mehr oder weniger festgeschrieben. Die Methoden und Tabellen mit denen das Honorar kalkuliert wurde, gelten heute noch vielerseits als Standard. Rechtlich gesehen wurde der Wortlaut geändert und die HOAI Tabellen gelten nur noch als Orientierungswerte. Für Außenstehende war die Kalkulation auf Basis der HOAI ohnehin schwer verständlich und tatsächlich auch mit Risiken verbunden. Denn: Die Honorarermittlung laut HOAI ist an den anrechenbaren Kosten (eine besondere Größe bei der Ermittlung der Baukosten) gekoppelt. Das heißt, es besteht aus Architekten- und Ingenieurssicht ein Interesse daran, möglichst hohe Baukosten anzusetzen. Das widerspricht dem wirtschaftlichen Gedanken der Bauherr:innen, die nicht umsonst infolgedessen häufig Höchstsätze vereinbart haben. Architekten und Architektinnen, Ingenieure und Ingenieurinnen waren es in der Vergangenheit nicht gewohnt, den Aufwand zu erfassen, zu dokumentieren und zu kalkulieren.
Man darf gespannt sein wie sich die Preise weiterentwickeln. Wir von ESTATIKA glauben, dass baubetriebswirtschaftliches Know-How dabei helfen wird, die Kalkulation des Angebotspreises für die Bauherrschaft und Planer:innen transparent und verständlich darzulegen. Sie können heutzutage also ruhig nachfragen, wie der Angebotspreis zustande kommt.
5. Die Erreichbarkeit
Wir stellen häufig fest, dass einige Projektbeteiligte noch immer davon ausgehen, dass es von Vorteil ist, wenn Planungsbeteiligten in der Nähe der betroffenen Immobilie Ihren Bürositz pflegen. Die Digitalisierung hat allerdings dazu geführt, dass mittlerweile viele Standortdaten wie Angaben zur bebauten Umgebung, Schnee- und Windlasten, Erdbebenzonen, Denkmalschutzlisten, Kohleabbaugebiete, Überschwemmungsgebiete, selbst grobe Richtwerte zur Baugrundgüten mittlerweile über Geoinformationssysteme abrufbar geworden sind. Weiterhin gilt zu Bedenken, dass die Tragwerksplanung als Fachplanung anzusehen ist, die die Objektplaner:innen (in der Regel Architekten/Architektinnen) bei der Planung fachlich unterstützen. Die Hauptaufgabe der Tragwerksplanung ist es, das Planungskonzept des Architekturbüros statisch nachzuweisen und tragende Bauteile weiter zu planen (Bewehrungspläne etc.). Jede Berechnung beruht dabei auf Annahmen, abgesehen von den äußeren Randbedingungen (siehe oben) weitestgehend von Architekten/Archtektinnen und Bauherren/Bauherrinnen festgelegt werden. Das Planungskonzept (Bauzeichnungen, Baubeschreibungen, Lageplan) und Angaben zur Baugrundgüte (aus einem Baugrundgutachten vor Ort) werden heutzutage digital ausgetauscht.
Die Erreichbarkeit eines Tragwerksplaners verbessert sich heutzutage nicht mehr, wenn man innerhalb von 5 Minuten vor der Tür stehen kann. Sie erhöht sich vielmehr durch moderne Kommunikationsmittel, beispielsweise sichere Server und Mail-Accounts, Hard- und Software für Videocalls, Chatfunktionen oder gar virtuelle Planungsumgebungen um live miteinander zu planen. Wir empfehlen Bauherr/Bauherrinnen verstärkt auf die digitale Infrastruktur und die Teamgröße zu achten als auf den Standort der potentiell geeigneten Statiker:in.
6. Die Lieferzeit
In Zeiten des Baubooms sind die meisten Ingenieurbüros stark beschäftigt. Weiterhin steht ein Generationenwechsel vor der Tür. Die kleinteilige Branche ist unseren Erfahrungen nach geprägt von einer Geschäftsführerung älteren Jahrgangs. Die Hard- und Softwareanwendungen ist nicht immer auf dem neuesten Stand. Mehrere Faktoren führen dazu, dass die Bearbeitungsdauer in die Länge gezogen werden können. Verlässliche Auskünfte zu einer ungefähren Lieferzeit, zumindest bis zur Fertigstellung des Standsicherheitsnachweises sind rar gesäht. Um dies leisten zu können ist ein modernes Projektmanagement, auch in Ingenieurbüros, heutzutage unerlässlich geworden. Erkundigen Sie also ruhig auch nach den hintergründigen Prozessen im Ingenieurbüro. Projektverzögerungen können Ihnen teuer zu stehen kommen, wenn Finanzierungskredite bereits laufen und das Übergabedatum an Endinvestoren/Investorinnen und Mieter:innen bereits frühzeitig feststeht.
7. Die Erfahrung
Erfahrene Tragwerksplaner:innen können relativ schnell erkennen, welche Risiken bei einem Bauvorhaben auftreten werden. Fehlende Stützen oder sonstige Abfangungen, bei Mehrfamilienhäusern meist bei auskragenden Decken, großen Fensterflächen und offenen Räumen oder Tiefgaragen. Wir empfehlen Bauherren/Bauherrinnen, ein Erstgespräch durchzuführen und die möglichen Pain-Points einmal anzusprechen. Im Laufe des Gespräches bekommen Außenstehende in der Regel relativ schnell ein Gefühl, ob es sich um eine Vermittlungsplattform handelt oder ein erfahrenes Ingenieurbüro.
8. Die Kommunikation
Wie bereits beim Thema Erreichbarkeit erwähnt spielt die Kommunikation, besonders zwischen Bauherrschaft, Architekturbüro und Fachplanung eine wichtige Rolle in den frühen Phasen eines Projektes. Moderne Kommunikationsmittel sorgen dafür, dass Entwürfe, Zeichnungen und sonstige Daten geteilt und digital gemeinsam betrachtet werden können. Moderne Eingabemittel helfen dabei, kritische Punkte zu markieren und auch schnell einzelne Detaillösungen digital per Hand zu skizzieren. Eine wichtige Rolle bei der fachlichen Kommunikation spielen weiterhin die Datenaustauschformate. Man kann viel Arbeit sparen, wenn Zeichnungen oder gar Modelle von einer Software in die andere Fachsoftware übertragbar ist. Erkundigen Sie sich bei Ihren Projektbeteiligten und sorgen Sie bei größeren Mehrfamilienhäusern wenn möglich für einen gemeinsamen Datenaustauschstandard. Möglicherweise lässt sich durch eine Aufwandsreduzierung dann auch preislich nachverhandeln.
9. Das Verständnis
An vielen Universitäten erfolgt die Lehre der Architekten/Archtektinnen und Bauingenieure/Bauingenieurinnen getrennt voneinander. Dies trägt dazu bei, dass jede Disziplin auch eine Art Tunnelblick entwickelt. Die Planung eines Gebäudes basiert jedoch auf einem interdisziplinären Austausch, in dem Verständnis für die jeweils andere Fachdisziplin vorliegen muss. Auch Tragwerksplaner:innen neigen dazu, Entwürfe zu kritisch zu bewerten und konservative Lösungen vorzuschlagen. Erkundigen Sie sich in einem Gespräch über konstruktive Lösungsansätze bei architektonische Besonderheiten. Ansonsten kann ein Vorhaben auch schnell in einer Sackgasse landen.
10. Die Lösungsorientierung
Ein Mehrfamilienhaus ist in der Regel eine wirtschaftliche Investition, ein technisches Konstrukt, ein soziales Engagement und selbstverständlich auch ein ökologisches Thema. Die Themenvielfalt führt dazu, dass die Planung eines Gebäudes einen iterativen Prozess darstellt. Architekten/Architektinnen entwerfen ein Gebäude, Fachexperten/-expertinnen wie Tragwerksplaner:innen prüfen das Entwurfskonzept. Es kommt zu Anpassungen und Rücksprachen. Immer wieder wird es in der Planung einzelne Punkte geben, die nicht für alle Beteiligten ideal sind. Es wird bei einem menschlichen Handeln auch zu Fehlern kommen. Man kann ein Gebäude “tot planen” und den Ball hin und herschieben, bis man sich verzweifelt im Kreis dreht (siehe Punkt 9 Verständnis). Nun kommt es darauf an, Lösungen zu finden. Ein pragmatisches Handeln kann hier sehr förderlich sein. Entwickeln Sie als Bauherr:in in den Erstgesprächen ein Gefühl dafür, ob gleiche Interessen vorliegen, ob nur Probleme Anderer gesehen werden oder ein lösungsorientiertes Handeln erkennbar ist. Dies können Sie von einer geeigneten Statiker:in erwarten.
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Fazit
Die Planung eines Mehrfamilienhauses ist ein Prozess, der von Menschen gelebt wird. Der Prozess lebt von der Zusammenarbeit vieler Beteiligter. Die Tragwerksplanung, bzw. die zuständige Tragwerksplaner:in (Statiker:in) sind ein fester Bestandteil des Planungsteams. Wir hoffen, dass wir Bauherren/Bauherrinnen einige wichtige Aspekte bei der Auswahl einer geeigneten Statiker:in helfen konnten. Bei Interesse melden Sie sich bei uns. Wir unterstützen Sie gerne bei der fachlichen Planung Ihres Gebäudes, bei der Auswahl der Projektbeteiligten und der Organisation innerhalb eines Projektes.
Verfasst am 15. März 2022. Die obigen Informationen können veraltet/fehlerhaft sein und stellen keine Beratung dar. Fragen Sie uns für verbindliche Auskünfte hier an:
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